Gesa Ziemer berichtet aus dem City Science Lab in Hamburg.
Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 02. August 2022 veröffentlicht.
UN-Habitat ist das Stadtentwicklungsprogramm der Vereinten Nationen mit Hauptsitz in Nairobi, Kenia, und beschäftigt sich mit der Frage „How to transform our cities to a better future?“, so auch der Titel der Konferenz. Urbanisierung nimmt weltweit weiterhin rasant zu, die großen Städte werden zukünftig in Afrika prognostiziert, die Vereinten Nationen zählen aktuell 33 Megastädte mit mehr als 10 Millionen Einwohner:innen. Diese Zahl wird in den nächsten Jahrzehnten steigen und neue Städte zu Megastädten werden, deren Namen wir in Europa kaum kennen. Lagos in Nigeria könnte Tokio/Yokohama (rund 35 Millionen Einwohner:innen) ablösen und bald die größte Stadt der Welt werden.
Die Bevölkerung in Afrika ist jung, rund die Hälfte ist unter zwanzig Jahren. Gleichzeitig hat aber auch die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Internetzugang und der sogenannte „digital divide“, also eine massive Benachteiligung jener, die ohne Zugang zu Technologien leben, nimmt zu. Dieser entsteht dadurch, dass viele Menschen keinen Zugang zu Daten oder digitaler Hardware haben und deshalb wesentlich weniger informiert sind in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Ernährung und so weiter.
Maimunah Mohd Sharif, die Exekutivdirektorin von UN-Habitat, adressierte in ihrer Eröffnungsrede die drei Cs: Corona, Crises und Climate, die es mit vereinten Kräften zu bearbeiten gilt. Mit dem Leitspruch „leave no one and no place behind“ sprach sie vor einem interessant gemischten Publikum, das sich sowohl aus hohen Vertreter:innen von Regierungen zusammensetzte als auch aus Aktivist:innen und Teilnehmenden aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltungen, NGOs und der Zivilbevölkerung.
Man kann den Vereinten Nationen unter anderem Ineffizienz und Langsamkeit vorwerfen, aber eine Dialogplattform wie das World Urban Forum ist einmalig, und es zeigte sich an vielen Stellen wie wichtig es war, sich nach Monaten von globaler Covid-19-Pandemie zu treffen und miteinander zu reden – auch wenn die Meinungen divergierten. Vor allem nach der langen Konferenzpause schienen die Gäste dieses Mal ganz besonders engagiert auf Panels, in Vorträgen, Dialogformaten und Roundtables, in der Showcase Arena, dem Europäischen Track, den Länder Pavillons, der Urban Expo und in den vielen Side Meetings und informellen Treffen. Die hohe Teilnahme auch in hybriden Formaten bestätigte dieses große Interesse.
UN-Habitat: Menschenzentriertes Smart-Cities-Programm
Vor zwei Jahren hat UN-Habitat aufgrund der Tatsache, das soziale Ungleichheit mehr und mehr auf dem ungleichen Zugang zu Technologien beruht, das Leuchtturm-Programm „People-Centered Smart Cities“lanciert. Das wachsende Team stellte während des WUF die Entwicklungen der letzten zwei Jahre vor. Darunter waren lesenswerte Berichte zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder Blockchain für die Stadtentwicklung oder sogenannte Playbooks zu Themen wie „Digital Divide“ oder „Centering People in Smart Cities“, die sehr konkrete Vorschläge beinhalten, wie Städte Innovation und urbane Technologien sinnvoll implementieren könnten.
Auch ein sehr gut besuchtes Smart City Trainingsprogramm wurde angeboten, womit UN-Habitat das wichtige Thema „Capacity Building“ adressierte, denn vor Ort in Städten und Regionen des globalen Südens mangelt es nicht immer nur an Technologien, sondern vor allem auch an Ressourcen und gut ausgebildeten Personen, die diese Technologien nachhaltig anwenden können. Es wurden Kooperationen mit Universitäten vorgestellt, die wichtige Studien über den Zusammenhang digitaler Kompetenz und Urbanisierung vorlegten und die unter anderem zeigten, dass es in manchen Megastädten kaum ausgebildete Stadtplaner:innen gibt und es deshalb an Basisplanung fehlt.
Wenn in solch einem Kontext der Begriff Smart City fällt, kann es schon einmal zu lauten Abwehrreaktionen von Ländern kommen, die nicht auf Technologien warten, sondern sich erst einmal eine geregelte Planung wünschen. Rund 23 Prozent der Menschen lebt in informellen Siedlungen mit oft sehr ungeregeltem Wachstum, in denen Basisdienstewie Müllentsorgung oder Wasserzugang überlebenswichtig sind. Entschärft werden konnten solche Konflikte dadurch, Informalität und urbane Technologien nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern Datenerhebungund -zugang als Hilfe für die Planung zu verstehen, auch in solchen Kontexten.
UNITAC Hamburg: Krisen in der Welt und die Rolle Deutschlands
In Hamburg gibt es seit zwei Jahren den Innovation Technology Accelerator for Cities der Vereinten Nationen (UNITAC Hamburg), der von Katja Schäfer (UN-Habitat) in Nairobi, Michael Ibach (UN OICT) aus New York und mir aus Hamburg aufgebaut wird und der ebenso Teil des Leuchtturm-Programmes ist. UNITAC entwickelt und implementiert in enger Zusammenarbeit mit dem City Science Lab der Hafencity Universität in Hamburg datenbasierte Anwendungen für Städte im globalen Süden, unter anderem haben wir unseren „AI Building Tracker“ vorgestellt, ein Algorithmus, der für die Stadt Ethekwini (ehemals Durban) in Südafrika mithilfe von Satellitenbildern Daten von Häuserdächern in informellen Siedlungen auswertet, damit die Kommune einen Überblick über den starken Wachstum und die Landnahme bekommt.
In diesem Sinne versucht UNITAC Hamburg die Lücke zwischen Reden und Handeln zu schließen und konkrete digitale Anwendungen mit Teams vor Ort zu entwickeln und zu implementieren, um positive Wirkungen zu erzeugen, vor allem für Bevölkerungsgruppen die sonst nicht gesehen werden. In einem großen „crisis track“ wurde beim WUF in diesem Jahr neben vielen Krisen auf der Welt auch der Krieg in der Ukraine und die dramatische Zerstörung der Städte thematisiert. „Building back better“lautet das Credo der Vereinten Nationen, einen Ansatz den wir mit unseren Datentools unterstützen werden, um nicht nur die materielle Zerstörung der Infrastruktur und Gebäude zu erheben und abzubilden, sondern auch die soziale Zerstörung, die so ein Krieg hinterlässt.
Auch hier kann mit Datenplattformen und -analyse geholfen werden, um ein „humanitarian damage assessment“ zu visualisieren, an dem auch UNITAC Hamburg beteiligt sein wird. Deutschland war beim WUF mit einem deutschen Pavillon präsent, unter anderem durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das neue Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) mit dem Referat Smart Cities vertreten.
Bei der Eröffnung sprach die Bundesbauministerin Klara Geywitz. Deutschland unterstützt die Ukraine also nicht nur mit Waffenlieferungen, sondern auch mit digitalen Technologien, die den Wiederaufbau des Landes, wenn die politische Lage es zulässt, hoffentlich vorantreiben werden.